Über die Freiheit, arm zu sein

Wir leben in einer Gesellschaft, in der einerseits alle Schaufenster und Supermärkte so prall gefüllt sind, dass sogar zum Containern noch einiges übrig bleibt. An Lebensmitteln, Autos, Smartphones, Kino-Sitzplätzen usw. fehlt es nicht. Und um all das herzustellen und je nach bedarf immer neuen Nachschub zu produzieren ist es noch nicht einmal nötig, dass alle Menschen dafür arbeiten: Arbeitslosigkeit bedeutet keinen Mangel an nützlichen Dingen an irgendeiner Stelle. Wenn es in dieser Gesellschaft einfach nicht mehr so viel zutun gibt – warum muss dann gleichzeitig jede*r arbeiten? Warum bedeutet weniger Arbeit nicht gleich weniger Mühen und ist ein Grund zur Freude? Und: Wieso gibt es so viel gesellschaftlichen Reichtum, dass die Läden vor Zeug überquellen, und gleichzeitig so viel Armut unter den Menschen, die das Zeug eigentlich bräuchten? 

Diese Widersprüche sind nicht nur bekannt, sondern sind der real existierende Inhalt der Freiheit, die dieser Staat einem gewährt. 

Die Freiheit ist einerseits die Verpflichtung jedes*jeder Einzelnen darauf, im Rahmen der geltenden Gesetze selbst zuzusehen, wo sie*er bleibt – die Freiheit von gesellschaftlicher Organisation einer Ökonomie. Andererseits ist sie die garantierte freie Verfügungsgewalt über die dafür nutzbaren Mittel – die Freiheit zu Eigentum. 

Das Brötchen bei REWE bleibt staatlich garantiert auf der anderen Seite des Verkaufstresens liegen, solange das dafür geforderte Geld nicht die Hände gewechselt hat – egal, wie großen Hunger du hast: es ist schließlich dazu da, dass REWE seinen Gewinn macht, und nicht, um Menschen mit Brötchen zu versorgen. Ohne das nötige Geld ist es nicht möglich, auf legalem Wege an das zu kommen, was man zum Leben braucht. Wer wie die allermeisten über kein nennenswertes Eigentum verfügt, das sich als Einkommensquelle nutzen lässt, ist darauf verwiesen, sich, konkurrierend mit allen anderen Mittellosen, eine Lohnarbeit zu suchen und auf eine möglichst gute Platzierung in der nationalen Berufshierarchie zu hoffen. Wer das nicht einsieht, sondern sich lieber mit dem kaum nennenswerten Einkommen als Sozialhilfeempfänger*in zufrieden geben will, kann sich alternativ auch dazu entscheiden, sich vom Jobcenter in eine der beschissenen Lohnarbeiten zwingen zu lassen, die sie*er ursprünglich zurecht nicht machen wollte. So oder so: Die Freiheit des bürgerlichen Staates bedeutet für die allermeisten die Verpflichtung auf Ausbeutung und Armut.