Antifaschismus und Antinationalismus müssen gemeinsam gedacht und betrieben werden. Den Unterschied zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen haben sich nicht erst die Rechtsradikalen ausgedacht – der bürgerliche Nationalstaat schafft und institutionalisiert ihn. Staatsbürger*innen sind die einen und die anderen sind es eben nicht, je nach Status kommen den Menschen unterschiedliche Rechte und Pflichten zu.
Indes ist die Gesamtheit aller Staatsbürger*innen weder für Bürgerliche noch für Rechtsradikale einfach eine Menge von Individuen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass ihr Lichtbildausweis vom selben Staat ausgestellt wurde. Beide konstruieren stattdessen ein “Volk” als Kollektiv von Menschen mit ähnlichen Eigenschaften und gemeinsamen Interessen.
Rechtsradikalen liegt die Vorstellung eines vorstaatlichen “Volkskörpers” zugrunde, bei dem sich die Zugehörigkeit durch Blut und Boden bestimmt. Das als natürlich phantasierte Kollektiv ist für Nicht-Zugehörige nicht nur unzugänglich, sondern muss vor äußeren Einflüssen geschützt werden, um seine “ursprüngliche Reinheit” beizubehalten. Ein Staat ist dazu da, die naturwüchsigen gemeinsamen Interessen des “Volkes” zu befördern und zu verteidigen. Diesen Grundsatz teilen alle Rechtsradikalen; Detailfragen darüber, ob ein*e Migrant*in, die*der sich hundertprozentig assimiliert und “die deutsche Kultur” ausnahms- und kritiklos als ihre*seine annimmt, Mitglied der “Volksgemeinschaft” werden kann oder nicht, variieren je nach Strömung.
Das “Volk” des bürgerlichen Staates ist weniger exklusiv – insoweit als dass es nach Maßstäben der Nützlichkeit für den Nationalstaat Zuwanderung und Aufenthalt von Migrant*innen zu tolerieren hat und Migrant*innen nach staatlich festgelegten Aufnahmekriterien durch die Einbürgerung Teil dessen werden können. Das Gerede von “Leitkultur” und Integration “Fremder” in diese, wobei letztgenannte die Bedingung für deren Berechtigung zum Aufenthalt innerhalb der deutschen Verwaltungsgebiete ist, zeigt sehr deutlich, dass gemeinsame Eigenschaften der “Volkszugehörigen” jenseits der staatlichen Kategorie Staatsbürgerschaft behauptet werden. Dass gar nicht klar ist, worin die “Leitkultur” überhaupt bestehen soll, zeigt sich schon darin, dass die Antwort je nach Partei variiert (“Gehört der Islam zu Deutschland?”).
Hier wie da gilt: es wird ein “Kollektiv” mit gemeinsamen Interessen deklariert, wo keines ist. Während die Rechtsradikalen die Grenzen ihres Kollektivs nach ihren Maßstäben ziehen, zieht der Staat sie nach den seinen und verschafft ihnen durch seine Gesetzgebung tatsächliche Geltung. Darin, dass die einzelnen Individuen eine Gemeinsamkeit miteinander verbindet, die über ihre einander entgegengesetzten Interessen hinausgeht, und diese Gegensätze dem nationalen Kollektiv gegenüber von untergeordneter Bedeutung sind, sind die bürgerliche Mitte und die Rechten grundsätzlich einig; auch darüber, dass der Staat für die Sicherung des nationalen Interesses zu sorgen und es ggf. zu verteidigen hat.
Das soll keineswegs (neo-)nazistische Positionen verharmlosen oder verniedlichen, sondern umgekehrt den bürgerlichen Nationalismus aus seiner Vernachlässigung entlassen. Ohne eine Kritik am bürgerlichen Nationalismus ist ein antifaschistisches Verständnis davon, was rechtsradikale Positionen in der Gesellschaft zunehmend populär macht, nicht möglich.